Gedanken zum Tod 

 

Ist es nicht eigenartig, dass ein Thema, das ausnahmslos jeden Menschen auf dieser Erde betrifft, so wenig Beachtung findet. Der Tod scheint das älteste und stärkste Tabu unserer Gesellschaft zu sein. Nichts wird so verdrängt, wie die Geburt in die körperlose Existenz. Warum tun wir uns so unendlich schwer in der Auseinandersetzung mit dem Tod? Die Konfrontation mit dem Sterben macht uns Angst und lässt Hilflosigkeit in uns aufkommen. Unbekümmert verdrängen wir erfolgreich das Bewusstsein um den Tod, der nüchtern betrachtet nur das natürliche Ende eines Jahrzehnte dauernden Verschleissprozesses ist. Eine Wandlung, die doch so sichtbar ist, dass wir eigentlich nicht die Augen davor verschließen können. Und Wandlung ist der Stoff, aus dem jedes Leben gemacht ist. Und nichts währt ewig. So wie die Blumen blühen und verblühen, so kommen auch Menschen und vergehen, weil die Naturgesetze immer das letzte Wort haben. Der Tod kann zuschlagen, schicksalhaft und hinterhältig, von einer Sekunde auf die andere oder er kann sich ankündigen, langsam und auf eine andere, unbekannte Seite  des Lebens hinweisend. Aber niemals werden wir wirklich vorbereitet sein.   

 

Trotzdem hoffen wir irgendwie in der privilegierten Situation zu sein, dass es nicht uns betrifft, nicht unsere Familie und nicht unsere Freunde und: Dass er eine Ausnahme macht, der Tod. So, wie wenn das Totenreich zu einem Land zählte, dass wir niemals betreten werden. Wie lange gelingt uns das? Bis ein geliebter Mensch stirbt. Dann verändert sich das ganze Leben und man gerät in eine Ausnahmesituation. Der Schmerz und die Trauer machen fassungs- und handlungslos. Der Verlust und die Ereignisse um den Tod haben das Leben in eine Dunkelheit getaucht, die wir bislang nicht kannten und uns eine zeitlang begleiten wird – manchmal unverarbeitet und für immer. Man sieht keine Farben mehr, denn die Trauer trägt Schwarz. Nadelstiche, die uns treffen, wenn wir in Fotoalben stöbern, gemeinsam Erlebtes Revuepassieren lassen oder uns ganz irrationale Skrupel beschleichen, Telefonnummern aus dem Speicher zu löschen oder das Adressbuch zu aktualisieren.  

 

Was macht uns zu schaffen? Der Verlust? Womöglich die Unmanipulierbarkeit eines unbewiesenen Schicksals oder ist es einfach die unverhinderbare Bestimmtheit, ausgelöst durch biologische Gesetzmäßigkeiten? Belegbare Ursachen mit logischen Konsequenzen? Solche und andere Gedanken zwingen uns in den Kräfte raubenden Kampf, sich selbst mit der eigenen Vergänglichkeit auseinander zu setzen. Doch Trauer zulassen und zugleich die alltäglichen Pflichten zu bewältigen, stellt uns vor eine große Herausforderung, denn die Welt dreht sich weiter, als wäre nichts geschehen. Vielleicht ist es ein Trost, dass sich dem Verstorbenen eine zweite Welt eröffnet, eine, in der es keine Sorgen gibt, keinen Schmerz – nur Licht und Liebe. Eine Vorstellung, an der sich Gläubige orientieren und die sicherlich hilfreich ist. Für andere ist vielleicht der philosophische Gedanke wertvoll, dass es Anfang und Ende nicht gibt, sondern nur unablässige Wandelbarkeit, zu deren Zeuge uns die Natur täglich aufs Neue macht. So ähnlich wird es auch mit uns sein. Auch wir Menschen kommen und gehen. Wenn wir begreifen, dass nichts verloren geht, sondern sich einfach nur der Kreislauf des Entstehens und Vergehens schließt, hilft es uns, die Vergänglichkeit zu akzeptieren. So wie ein Ring, der ohne Anfang und ohne Ende die ewige Abfolge des Werdens, Seins und Vergehens symbolisiert. Den Schmerz kann uns dieser Gedanke freilich nicht nehmen, und der Weg vom Herz zum Kopf kann ein langer sein, aber vielleicht ermöglicht er uns die Vergänglichkeit und den Tod ein wenig leichter als das zu akzeptieren was es ist: ein Stück Menschlichkeit. 

 

Zum Tod zu Schweigen, bedeutet, den Toten immer wieder sterben zu lassen. Die beste Seelenstütze erfolgt durch Menschen, denen es ebenso geht oder ergangen ist wie einem selbst: Man ist auf einer Gefühlsebene: Schicksal verbindet. Der Zuspruch aller anderen klingt fahl – oftmals wirkt der stille Beistand aufrichtiger.  

 

Denn sie sind wichtig, die verlässlichen Zuhörer, die einfach nur da sind. 

 Autor: Holger Fuchs

Bild: pixabay.com

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